c't 4/2022
S. 52
Titel
Gebrauchte Smartphones
Bild: Thorsten Hübner

Second Hand(y)

Warum wiederaufbereitete Smartphones boomen

Immer mehr Kunden entscheiden sich für ein wiederaufbereitetes Smartphone vom Händler – das ist günstiger und umweltfreundlicher als der Neukauf, obendrein läuft die Garantie oft sogar länger. Doch es gibt noch weitere Gründe für den Trend.

Von Christian Wölbert

Die goldenen Zeiten sind im Smartphonemarkt schon länger vorbei. Nachdem die Verkäufe bis 2016 steil angestiegen waren, ging es danach wieder bergab. Allerdings ist nur der Markt für Neugeräte geschrumpft – der Second-Hand-Markt wuchs stetig weiter.

2020 war der Kontrast besonders deutlich: Laut der Marktforschungsfirma IDC sank der Absatz von Neugeräten im ersten Coronajahr um 6 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der von gewerblichen Anbietern verkauften Gebrauchtsmartphones um 9 Prozent.

Auch in Europa feiern Second-Hand-Anbieter Rekorde. Rebuy hat 2021 nach eigenen Angaben 180.000 wiederaufbereitete Smartphones verkauft, fast doppelt so viele wie 2016. „Wir könnten noch deutlich mehr verkaufen, der Flaschenhals ist klar der Ankauf“, sagt Rebuy-Chef Philipp Gattner im Gespräch mit c’t. Das Unternehmen aus Berlin arbeitet seit 2019 profitabel und beschäftigt heute 550 Mitarbeiter.

Der Konkurrent Swappie ist noch schneller groß geworden: Er wurde erst 2016 gegründet, hat aber schon mehr als 1100 Angestellte. Das Start-up aus Helsinki bereitet ausschließlich iPhones wieder auf und flutet YouTube mit Influencer-Werbespots.

„Wir könnten noch deutlich mehr Smartphones verkaufen, der Flaschenhals ist der Ankauf“, sagt Rebuy-Chef Philipp Gattner.

Einen steilen Start hingelegt haben auch Onlinemarktplätze für Second-Hand-Elektronik wie Backmarket aus Paris und Refurbed aus Wien. Backmarket beschäftigt schon 650 Angestellte und ist aus der Sicht seiner Kapitalgeber 5,1 Milliarden Euro wert. Anders als Swappie und Rebuy bereiten Backmarket und Refurbed nicht selbst auf, sondern vermitteln nur zwischen Käufern und kleineren Wiederaufbereitern aus ganz Europa – das skaliert schneller, als wenn man selbst Smartphones testet, reinigt und repariert.

Für den Erfolg der Second-Handy-Branche gibt es zahlreiche Gründe. Eine Rolle spielt zum Beispiel der aktuelle Chipmangel: Manche Neugeräte waren 2021 kaum lieferbar, was Gebrauchtanbietern einen Vorteil verschaffte.

Gefühlt genauso gut

Doch es gibt auch langfristige Trends, die den Gebrauchtmarkt anschieben. Der vielleicht wichtigste ist, dass der technische Fortschritt sich bei Smartphones verlangsamt hat – zumindest aus Sicht der Kunden. Fünf Jahre alte Modelle wie das Samsung Galaxy S8 ruckeln auch bei heutigen Apps kaum und bieten alle Funktionen, die Normalnutzer sich wünschen. Ob zwei, drei oder vier Kameras im Gehäuse stecken, ist vielen Kunden schnuppe.

Gleichzeitig haben die Hersteller ihre Preise aber nach oben geschraubt. Im Schnitt geben Verbraucher in Deutschland heute 500 Euro für ein neues Handy aus, 150 Euro mehr als vor fünf Jahren. High-End-Modelle kosten gut und gern das Doppelte. Doch warum so viel ausgeben, wenn das ähnlich gute Vorvorjahresmodell mit ein paar Kratzern für die Hälfte zu haben ist?

Hinzu kommt, dass hochwertige Android-Smartphones länger mit Updates versorgt werden als noch vor einigen Jahren. Früher war meistens nach zwei Jahren Schluss, heute verspricht zum Beispiel Samsung, teure Modelle mindestens vier Jahre lang zu versorgen. Apple frischt die Software seiner Smartphones traditionell fünf, sechs Jahre lang regelmäßig auf.

Mit Mehrwert und ohne Risiko

Die Wiederaufbereiter profitieren nicht nur von der Strategie der Hersteller. Sie haben auch selbst einiges dafür getan, den Gebrauchtmarkt aus der Schmuddelecke zu holen. Zum Beispiel bieten Rebuy und Swappie ihren Kunden eine Dreijahresgarantie, während Hersteller auf Neugeräte üblicherweise nur ein oder zwei Jahre geben (mehr über Garantie und Gewährleistung bei Gebrauchtgeräten lesen Sie in unserem Test ab S. 56).

Die Dreijahresgarantie ist auch deshalb möglich, weil die Wiederaufbereiter ihre Ware mit hohem Aufwand testen (siehe Kasten auf S. 54). Alle großen Anbieter versprechen zudem, dass der Akku mindestens 80 Prozent der Originalkapazität bietet. Falls das Gerät aus irgendeinem Grund doch nicht gefällt, können Kunden es in den ersten Wochen einfach zurückschicken. Anders als beim Kauf von privat geht man bei gewerblichen Anbietern kaum ein Risiko ein.

Muss der Akku oder das Display getauscht werden, verwenden die Anbieter nach eigenen Angaben soweit möglich Originalteile oder wiederaufbereitete Originalteile, zum Beispiel Apple-Displays mit ausgetauschtem Deckglas. Da Originalteile mitunter nicht erhältlich sind, müssen sie aber auch auf Nachbauten zurückgreifen. Alle Teile würden intensiv getestet, betonen Rebuy und Swappie gegenüber c’t.

Je länger, desto grüner

Obendrein werben die Wiederaufbereiter mit dem Argument, dass der Gebrauchtkauf der Umwelt helfe. Da ist durchaus etwas dran: Ein Smartphone ist umso umweltfreundlicher, je länger es genutzt wird, denn der Großteil der Emissionen entsteht durch die Produktion.

Die Umweltorganisation Germanwatch fordert deshalb die Bundesregierung auf, den Markt für gebrauchte Elektronik mit einer geringeren Mehrwertsteuer zu fördern. Das sollte insbesondere für Geräte gelten, die schon zwei oder drei Jahre alt sind, sagt Johanna Sydow, Ressourcenexpertin bei Germanwatch. Schließlich helfe nicht jeder Gebrauchtkauf dem Klima. Wer sich alle paar Monate ein neues Modell aus zweiter Hand zulegt, heize indirekt die Nachfrage nach Neugeräten an.

Die EU-Kommission plant bereits andere Maßnahmen, die den Gebrauchtmarkt ebenfalls fördern würden: Sie will Hersteller verpflichten, mindestens fünf Jahre lang Ersatzteile und Softwareupdates zu liefern. Sollten diese Regeln wie geplant 2023 in Kraft treten, dürften Neugeräte noch teurer werden und Gebrauchtgeräte noch attraktiver.

Laut einer aktuellen Bitkom-Umfrage haben nur 13 Prozent der Deutschen schon einmal ein wiederaufbereitetes Smartphone oder Notebook gekauft - aber 50 Prozent könnten sich das vorstellen. Und die Marktforscher von IDC rechnen damit, dass 2024 weltweit 350 Millionen wiederaufbereitete Smartphones verkauft werden, etwa 125 Millionen mehr als 2020. Das ist zwar noch weit entfernt von den etwa 1,4 Milliarden Neugeräten pro Jahr. Backmarket-Chef Thibaud Hug de Larauze glaubt aber, dass der Gebrauchtmarkt langfristig mindestens gleichziehen kann. „Wir machen uns dafür bereit, mit dem 1,5 Billionen Dollar schweren Markt für Neugeräte auf Augenhöhe zu gehen“, sagt er. Bei Autos kaufe die Mehrheit schließlich auch Gebrauchtware. (cwo@ct.de)

Futuredial-Video: ct.de/ynzx

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