c't 11/2018
S. 56
Test
Autarkes VR-Headset
Aufmacherbild

Scharf und schwer

Autarkes VR-Headset Vive Focus von HTC

Die Virtual-Reality-Brille Vive Focus funktioniert ohne PC oder Smartphone – ein Snapdragon-Prozessor ist fest eingebaut. Ungewöhnlich: Das Gerät beherrscht sogar Positionstracking ohne zusätzliche Sensoren.

Die Vive Focus ist mit 637 Gramm schwerer als andere VR-Brillen, arbeitet dafür aber komplett autark: Akku und Prozessor (Snapdragon 835) sind integriert. Das Gerät wird zwar von HTC hergestellt und unter dem Namen Vive vermarktet, unterscheidet sich aber deutlich vom gleichnamigen PC-Headset von HTC: Die Software ist nicht kompatibel, außerdem erkennt der mitgelieferte Controller nicht wie die „echte“ Vive sechs Freiheitsgrade, sondern lediglich drei. In der Praxis bedeutet das, dass zwar Handbewegungen getrackt werden, aber nicht die Position der Hand im Raum – was zu einem deutlich geringeren Mittendrin-Gefühl führt: Die Hand fühlt sich zuweilen an wie eingegipst.

Das Headset selbst beherrscht dank der eingebauten Kameras präzises Raumtracking, was im Test zuverlässiger funktionierte als bei der Pico Neo, der einzigen anderen zurzeit erhältlichen autarken VR-Brille mit Positionstracking. Frei bewegen kann man sich in einem Würfel mit etwa 2,5 Meter Kantenlänge, die Grenzen werden mit einem virtuellen Gitter markiert (das übrigens genauso aussieht wie bei der PC-Vive). Geht man durchs Gitter, funktioniert das Tracking weiterhin zuverlässig, nach rund einem Meter verdeckt aber ein nicht abstellbarer Warnhinweis das Sichtfeld. Der Trackingbereich lässt sich nicht manuell einstellen, sondern wird bei jedem Aufsetzen der Brille neu erfasst. Hindernisse wie Möbel erkennt das Gerät dabei nicht.

Scharf wie Vive Pro

Das Display der Focus hat mit 2880 × 1600 Pixel eine höhere Auflösung als zum Beispiel Oculus Rift und HTC Vive; es liegt gleichauf mit der Vive Pro – zumindest auf dem Papier. In der Praxis wirkt das Bild zwar scharf, Pixel kann man aber dennoch deutlicher erkennen als bei der Vive Pro, was womöglich an der fehlenden, rechenintensiven Filterung liegt. Im Vergleich zu anderen mobilen Headsets sind Bildeindruck und Sichtfeld aber ausgezeichnet, und auch der Tragekomfort geht trotz des hohen Gewichts in Ordnung. Nicht so gut gelungen: die blechern klingenden Lautsprecher, die nicht nur den Headset-Träger beschallen, sondern die gesamte Umgebung, und der leise, aber stets laufende Lüfter.

Die Software arbeitet zwar auf Android-Basis, man kann aber nicht einfach Apps aus dem Play Store installieren. Es laufen nur Programme der herstellereigenen „Vive Wave“-Plattform – neben Gear VR, Daydream und Pico das vierte proprietäre Android-basierte VR-Ökosystem. Aus Herstellersicht ist das verständlich, denn die Verkaufsprovision für jede App würde sonst Google einstreichen. Aus Kunden- und vor allem Entwicklersicht ist es ein Albtraum.

Bei Redaktionsschluss haben wir im Appstore der Vive Focus 39 Apps gefunden, davon waren 21 kostenlos. Sowohl in Sachen Quantität als auch Qualität hält das Angebot zurzeit nicht mit Daydream oder Gear VR mit. Die exklusiven Vive-Apps waren eher Programmier-Fingerübungen wie einfache Schießbuden, bei hochwertigeren Titeln wie dem hübschen Spiel „Starbear: Taxi“ handelt es sich um Multiplattform-Titel, die auch auf Gear VR und Daydream erhältlich sind. HTC bietet einen einfachen Browser an, dessen Tastatur man mit dem Handcontroller-„Laserpointer“ erstaunlich gut bedienen kann. Der Browser konnte im Test keine YouTube-360-Grad-Videos abspielen.

Fazit

Tabelle
Tabelle: Vive Focus

Rein technisch gesehen ist die Vive Focus ein sehr gutes VR-Headset. Wegen des – zurzeit – nicht sonderlich ansprechenden Software-Angebots ist man mit Gear VR oder Daydream plus kompatiblem (Gebraucht-)Smartphone aber besser bedient. Bislang ist das 520 Euro teure Headset ohnehin nur in Asien erhältlich, in Europa soll es laut HTC aber noch „in diesem Jahr“ auf den Markt kommen. (jkj@ct.de)