Enthüllt: Wie vor 10 Jahren der Raspberry Pi (vielleicht) den ESC entschied

Tausende scheckkartenkleine Computer mit GSM-Modul sollen im Mai 2012 als Voting-Automaten quer durch Europa geschickt worden sein. Make klärt auf.

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(Bild: Review News / Shutterstock.com, Raspberry Pi Foundation, Montage: Make)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Behling
  • Heinz König
Inhaltsverzeichnis

Anlässlich des Jubiläums "Zehn Jahre Make / c't Hacks" blicken wir in loser Folge auf Highlights aus den vergangen Heften zurück. Heute, am 1. April 2022: der Eurovision-Song-Contest-Hack aus c't Hacks 4/12.

Erinnern Sie sich noch? Kaum hatte der Verlag im Jahr 2012 seine Entscheidung kundgetan, die c't Hacks aufgrund des großen Erfolgs der Erstausgabe ab sofort vierteljährlich herauszubringen, da landete bereits die Nummer 4/12 einen echten Scoop: Gerade noch rechtzeitig vor Drucktermin meldete sich auf vertraulichen Kanälen eine Größe der Hackerszene bei der Redaktion, der sich unter dem streng gewahrten Pseudonym Chromo Klopp als Initiator des Projekts 12 Points zu erkennen gab. Dieses Mitmachprojekt der besonderen Art hatte nicht weniger zum Ziel gehabt, als nach dem Abflauen der Lena-Mania den Chancen Deutschlands beim Eurovision Song Contest (ESC) im Mai 2012 in Baku auf technischem Weg deutlich nachzuhelfen.

Die Grundidee: Möglichst viele der (damals noch ganz neuen) scheckkarten-großen Einplatinencomputer vom Typ Raspberry Pi sollten zu mobilen Voting-Automaten umfunktioniert werden. Dazu wurden sie mit einem ordentlichen Akku und einer Zeitschaltuhr ausgestattet. Hinzu kam ein GSM-Modul (das im Zweifelsfall durch ein altes oder billig gekauftes Handy ersetzt werden konnte, was natürlich mehr Bastelaufwand erforderte) sowie eine Prepaid-SIM-Karte.

Das ganze wurde dann per Post als Päckchen etwa zwei bis drei Tage vor dem Eurovision Song Contest in ein Land geschickt, dessen Einwohner beim Wettbewerb stimmberechtig waren. Die Wahl des Landes war dabei entscheidend: In kleinen Ländern wie San Marino, Andorra, Malta oder Liechtenstein konnte man schon mit etwas Glück mit (ein paar) tausend Anrufen die magischen 12 Points for Germany(!1!!) im Televoting erreichen, während dazu etwa in Frankreich rund eine Million nötig waren.

Aus c't Hacks 4/12: Der Raspi-ESC-Hack (6 Bilder)

Der (noch junge) Raspberry Pi schaut hier so unschuldig, als könnte er kein Wässerchen trüben. Dabei mischte er (vermutlich) kräftig beim Eurovision Song Contest 2012 mit, ohne je auf der Bühne zu erscheinen ...

Die Päckchen gingen also in die ganzen kleinen Länder – und dort an fiktive Adressen. Der Clou: Da die Sendungen alle unzustellbar waren, lagerten sie bei richtigem Timing am Abend des ESC-Finales irgendwo im Ausland im Postamt.

Die Zeitschaltuhr schaltete den Raspi an, der nahm per SMS Kontakt auf und erhielt auf demselben Weg die Telefonnummer für die Abstimmung – also die Nummer des deutschen Beitrags (das hofften zumindest die deutschen Initiatoren des Projekts 12 Points). Diese Nummer riefen die Voting-Automaten dann ab Abstimmungsbeginn pausenlos immer wieder an, bis das Prepaid-Konto leer war.

Mit leerer SIM-Karte und wahrscheinlich leerem Akku durften sich die Päckchen dann noch ein paar Tage ausruhen, ehe sie – da unzustellbar – wieder an den Absender zurückgingen. Das hatte nicht nur den Vorteil, dass alle Mit-Hacker wieder in den Besitz ihres Raspberry Pi kamen, der seinerzeit auch nicht ganz einfach zu bekommen war (zeitweise wurde an Privatkunden nur ein einziger Raspi abgegeben, so wie aktuell im Supermarkt die Flaschen mit Sonnenblumenöl). Außerdem wurden durch die Rücksendung alle Spuren verwischt, da die (ja, wir müssen das hier so sagen: natürlich illegalen) Voting-Automaten ihr "Gastland" wieder verlassen hatten.

Der ESC-Hack war Titelthema in c't Hacks 4/12.

Zu Zeitpunkt, als Chromo Klopp sich an uns wandte, waren auch alle anderen Hinweise verschwunden: Die Bauanleitungen für die Raspi-Voting-Automaten gab es da schon nicht mehr auf Bittorrent, worüber sie seinerzeit (ausschließlich) verbreitet wurden. Dass der Aufbau technisch funktionierte, davon überzeugten wir uns damals durch einen Nachbau im Hacks-Labor. Doch inwiefern die Initiatoren von 12 Points tatsächlich ihrem Ziel näherkamen, lässt sich nur vermuten. Ein Hinweis immerhin: Im Televoting erreichte der deutsche Beitrag Standing still von Roman Lob immerhin den 6. Platz, deutlich vor dem Rang, der ihm in der Jury-Wertung zugesprochen wurde (da reichte es für den 10. Platz).

Möglicherweise hatten Chromo Klopp & Co. allerdings die Rechnung ohne die Schweden gemacht: Denn auch wenn Deutsch als Fremdsprache an schwedischen Schulen seit Jahren rückläufig ist, gibt es doch vergleichsweise viele Schwedinnen und Schweden, die deutsche Texte verstehen. Möglich ist also, dass die – von den Initiatoren damals ganz bewusst! – nur auf Deutsch verfügbare Bauanleitung den Weg nach Skandinavien fand ... den ESC hat jedenfalls am Ende der schwedische Beitrag Euphoria von Loreen gewonnen.

Natürlich hätten wir anlässlich unseres Jubiläums – die Make feiert dieses Jahr ihren zehnten Geburtstag, wenn man die Zeit unter dem Titel c't Hacks mitzählt, und da sind Geschenke fällig – den originalen Artikel aus der Hacks 4/12 (samt Bauanleitung für die Voting-Automaten) hier in voller Länge online zur Verfügung gestellt. Manche technische Details waren seinerzeit wegweisend – man erinnere sich etwa an die auf der re:publica 2015 gezeigte Installation Finding Europe with Lights, die erst drei Jahre später eine ähnliche Kombination aus Einplatinenrechner und GSM-Board benutzte (allerdings auf Basis von Arduino und vor allem als harmloses Kunstprojekt).

Doch leider ist eine Wiederveröffentlichung des Artikels aus der Hacks 4/12 derzeit nicht möglich: Alle früher vorhandenen Exemplare des Hefts im Verlag sind einem Wasserschaden infolge von Materialermüdung an einer Bauanschlussfuge zum Opfer gefallen und die einzige Backup-DVD mit den Druckdaten ist nicht mehr lesbar. Deshalb der Aufruf an Sie, falls Sie Leserin oder Leser der ersten Stunde sind: Wenn Sie die Hacks-Ausgabe 4/12 zufällig noch besitzen, nehmen Sie bitte unbedingt Kontakt per Mail mit uns auf – wir kaufen Ihnen das Heft liebend gerne ab, zum Preis eines Make-Freiabos auf Lebenszeit. Deal? (pek)