c't 4/2022
S. 130
Wissen
Historische Kryptoanalyse
Bild: Albert Hulm

Kryptische Propaganda

Entschlüsselt: Briefe von Kaiser Maximilian II.

Transportverschlüsselung von vertraulichen und personenbezogenen Daten gab es auch vorm Inkrafttreten der DSGVO. Schon 1575 ließ Kaiser Maximilian II. wahlentscheidende Briefe von seiner Kanzlei für den Postweg verschlüsseln. Nach Jahrhunderten im Archiv haben Forscher ihre Inhalte mit Zettel, Stift und Algorithmus entschlüsselt – mit interessanten Ergebnissen für Kryptologie und Geschichtswissenschaft.

Von Nils Kopal und Michelle Waldispühl

Das Jahr 1575 war ein entscheidendes für den Habsburger Kaiser Maximilian II. Eine wichtige Wahl für ihn stand an, in der er seinen Einfluss auf große Gebiete hätte erweitern können. Die Krone des Vielvölkerstaats Polen-Litauen, eine parlamentarische Monarchie, war vakant, und die rund 50.000 Mitglieder des Adels hatten im November 1575 die Gelegenheit, ihren König und Großfürsten zu wählen. Unter den Kandidaten für den Thron befanden sich unter anderem Maximilian II., sein Sohn Ernst und die polnische Prinzessin Anna Jagiellonica zusammen mit ihrem zukünftigen Mann Stephan Báthory, dem Fürsten aus Siebenbürgen.

Zu den Wahlvorbereitungen gehörte damals wie heute möglichst wirksame Wahlpropaganda. In vormodernen Zeiten erreichte man die Wahlberechtigten allerdings nicht so einfach über öffentliche Medien wie heute – die Kommunikation und damit die Beeinflussung der Wahlberechtigten geschah vorwiegend mündlich und vor Ort. Dafür brauchte Maximilian als ausländischer Kandidat Verbündete in Polen-Litauen, die für ihn lobbyierten und auf Stimmenfang gingen. Um seine Verbündeten vor Ort über seine politischen Ideen, Wahlversprechen und -strategien zu informieren, war er auf Briefkorrespondenz angewiesen. Die Briefboten mussten allerdings große Strecken überwinden und waren mehrere Tage oder sogar Wochen unterwegs. Es bestand immer die Gefahr, dass die Briefe abgefangen und von Dritten gelesen würden. Fremde sollten jedoch unter keinen Umständen Einblick in die diplomatischen Briefe bekommen – ein Verfahren für verschlüsselte Übertragung musste her. Während man heute für eine solche Verschlüsselung komplexe mathematische und computerbasierte Verfahren zu Hilfe nimmt, übernahmen in vormoderner Zeit handschriftliche Geheimschriften diese Funktion. Auf solche vertraute auch Maximilian II.

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