c't 4/2022
S. 114
Wissen
Vitaldaten
Bild: CiS / c’t

Labor im Ohr

Wearables messen den Blutdruck exakt und kontinuierlich

Hörgeräte messen nebenbei ständig den Blutdruck – oder eine leichte Manschette erledigt das ohne Aufpumpen und andere Unannehmlichkeiten. Die Werte werden per Bluetooth übertragen. Technik dieser Art könnte bald den Alltag prägen.

Von Arne Grävemeyer

Ein hochsensibler Drucksensor macht exakte Blutdruckmessungen an den Kapillaren im Gehörgang möglich. Tatsächlich: Ein Sensor auf der Haut, versteckt im Gehörgang, kann Druckschwankungen an feinen Blutgefäßen sicher messen. Ebenso lassen sich an dieser Stelle auch optische Verfahren nutzen – über den Blutdruck hinaus können sie auch die Pulsfrequenz ermitteln, wie ein Forschungsprojekt des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) gezeigt hat. Zudem verspricht eine neuartige leichte Manschette für Oberarmmessungen, den Blutdruck akkurat und über lange Zeiträume zu kontrollieren. Hochqualitative, im Alltagsleben kontinuierlich gemessene Blutdruckwerte stehen Medizinern sonst nicht zur Verfügung.

Das Standardverfahren für die nichtinvasive Blutdruckmessung ist die Druckmanschette am Oberarm. Unter deren Gegendruck lässt sich sowohl der systolische arterielle Druck bestimmen, der nach der Anspannung des Herzmuskels durch die Adern pulst, als auch der diastolische arterielle Druck, der in der Erschlaffungsphase des Herzens herrscht. Mit einer solchen Messung erhält der Mediziner genau zwei Werte, die einen einmaligen Zustand beschreiben. Will er einen Tagesverlauf durch ganze Messserien erfassen, muss er dem Patienten eine Intervallmessvorrichtung mitgeben, die dann während des Tages jede 15 Minuten und nachts jede 30 Minuten die Druckmanschette aufpumpt und eine Messung startet. Viele Patienten empfinden das als störend.

Exakter lässt sich der Blutdruck stationär und invasiv mit einem Katheter in einer großen Arterie und einem angeschlossenen Drucksensor beobachten. Damit sind kontinuierliche Messungen möglich, allerdings nicht im Alltag zu Hause, im Büro oder beim Sport.

Inzwischen versprechen Smartwatches und Fitnesstracker die kontinuierliche Aufzeichnung verschiedener Vitaldaten. Ihre Träger bekommen bei jedem Blick aufs Handgelenk mehr oder minder brauchbare Werte für ihren Puls und sogar ihren Blutdruck angezeigt. Aber akkurate Blutdruckmessungen kann man von Geräten an dieser Körperstelle nicht erwarten, betonen Mediziner wie Dr. Siegfried Eckert vom Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (HDZ). Die Entfernung zum Herzen ist relativ groß, bei jeder Bewegung und jeder Muskelanspannung verfälschen störende Signale die Messergebnisse.

Am Ohr ist die Situation dagegen wesentlich stabiler. Das Herz versorgt den Kopf und das Gehirn darin auf direktem Wege, wodurch auch das Ohr stets gut durchblutet ist. Störeinflüsse durch Brust- oder Halsmuskeln sind gering. Im Gehörgang liegen die Blutgefäße direkt unter der Haut und sind damit für miniaturisierte Sensoren gut zugänglich.

Schlauer Stöpsel

Mit diesen Überlegungen startete im Januar 2018 das Forschungsprojekt MikroBO (siehe ct.de/y3v8). Das erklärte Ziel der teilnehmenden Industriepartner ist es, ein elektronisches Mikrosystem zu entwickeln, das permanent und nichtinvasiv (also unblutig) den Blutdruck bestimmt. Langzeitmessungen, die den Anwender im täglichen Leben nicht belasten, könnten die Diagnose und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessern und das Verständnis für die häufigsten Todesursachen in Deutschland grundlegend verändern.

Die Projektteilnehmer entwickelten eine Sensor-Aktor-Komponente: einen Ohrstöpsel, der einen ringförmigen Wulst aufblasen kann. Der pralle Ballon quetscht die Kapillargefäße im Gehörgang kurzzeitig zusammen und erlaubt einem feinen Drucksensor dabei, die Absolutwerte des Blutdrucks zu erfassen. Die zentrale Komponente, den hochauflösenden Drucksensor BMP580, brachte Bosch Sensortec 2020 in das MikroBO-Projekt ein. Öffentlich stellte das Unternehmen diesen Sensor erst zur CES Anfang Januar 2022 vor. Dieser Minisensor kommt mit einer quadratischen Grundfläche von 4 Quadratmillimetern bei gerade einmal 0,75 Millimeter Bauhöhe aus.

Durch seine hohe Genauigkeit ist der Sensor an der Gefäßwand im Gehörgang bereits in der Lage, relative Blutdruckschwankungen zu messen. Das energieaufwendige Aufblasen des Druckballons, mit dessen Hilfe sich der absolute Blutdruck bestimmen lässt, dient dann nur noch der Kalibrierung des Systems. Die müsste der Anwender dann vielleicht ein- bis zweimal am Tag vornehmen.

Der Demonstrator aus dem MikroBO-Forschungsprojekt besteht aus einem Ohrpassstück mit aufblasbarem Ballonring und Drucksensor sowie einem bisher kabelgebundenen, zusätzlichen kleinen Gerät. Die Messdaten bekommt eine Smartphone-App per Bluetooth-Verbindung.
Bild: MikroBO

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