Neue Gentherapie lässt Blinde wieder Gegenstände erkennen

Ein erblindeter Mann, dessen Netzhaut kein Licht mehr verarbeitet, kann nach optogenetischer Behandlung wieder Zebrastreifen zählen und sein Telefon erkennen.

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(Bild: Arteum.ro / Unsplash)

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Die Krankheit, unter der der 58-jährige Franzose leidet, heißt Retinitis pigmentosa. Dahinter steckt ein genetischer Defekt in der Netzhaut, der dafür sorgt, dass die Lichtrezeptoren im Auge nicht mehr funktionieren. Die Folge ist ein Leben in Dunkelheit. Einer französisch-amerikanisch-schweizerischen Forschergruppe ist es nun gelungen, dem Mann einen Teil seiner Sehkraft zurückzugeben – mit einer neuartigen optogenetischen Gentherapie.

Der Franzose ist kein Einzelfall: Die Degeneration der lichtdetektierenden Zellen in der menschlichen Netzhaut führt bei Millionen von Menschen weltweit zu schweren Sehbehinderungen und schließlich zur Erblindung. Über 300 Gene spielen bei vererbten Netzhautdegenerationen eine Rolle und nur ein kleiner Teil davon ist theoretisch für eine Gentherapie geeignet, bei der das defekte Gen durch ein funktionierendes ersetzt wird. Auch wenn die Krankheitsursachen unterschiedlich sind, die physiologischen Veränderungen in der Netzhaut ähneln sich stark und meist sind nur die oberen Zellschichten betroffen.

Solange tiefere Zellschichten, die nicht lichtempfindlich sind, intakt sind, setzten zahlreiche Forschende auf eine universell einsetzbare Gentherapie: Optogenetik. Sie zielt darauf ab, nicht den Gendefekt zu reparieren, sondern das Sehvermögen des Auges durch eingeschleuste lichtempfindliche Moleküle an der Netzhaut wiederherzustellen. Sie sollen die Aufgabe der natürliche Photorezeptoren übernehmen und den Nervenzellen das Licht-Signal weiterleiten.

Allerdings ist die Therapie von der das Forschungsteam in Nature Medicine berichtet, noch hochgradig experimentell. Die Forschenden verwendeten einen optogenetischen Gentherapievektor, den sie in ihrer eigens für die Studie gegründeten Firma GeneSight Biologics herstellen. Der Virusvektor schleust ein lichtempfindliches, sogenanntes "ChrimsonR" Kanalrhodopsin in Ganglienzellen der Sehgrube ein. Zur Kontrolle, ob das eingeschleuste Gen tatsächlich seine Arbeit aufnimmt, wurde es zusätzlich mit einem fluoreszierenden Stoff gekoppelt, der die erfolgreich behandelten Zellen zum Leuchten bringt. Auf die Weise behandelte das Team insgesamt sieben Blinde – 15 sind geplant – aber nur einer von ihnen konnte bedingt durch die Corona-Pandemie das Sehen mit dem neuen lichtempfindlichen Stoff in der Retina trainieren.

Das Training für den Franzosen begann viereinhalb Monate nach dem gentherapeutischen Eingriff: Dafür benötigte er eine spezielle Lichtbrille, die die behandelten Zellen mit hellem Rotlicht stimuliert. Und er musste lernen, Objekte mit einer bestimmten Technik zu rastern, da die Gentherapie nur einen sehr kleinen Bereich der Netzhaut mit lichtempfindlichen Molekülen versorgt.

Nach anfänglichem Frust zeigten sich nach sieben Monaten Training endlich Erfolge: Er erkannte Zebrastreifen, konnte die Anzahl der Streifen zählen, ortete Alltagsgegenstände wie ein Telefon oder erkannte eine Tür in einem Korridor. Allerdings nur, solange die Rotlichtbrille auf dem behandelten Auge starkes Rotlicht sendete, denn die Lichtempfindlichkeit eingeschleusten Photorezeptors reicht für natürliche Helligkeit nicht aus und braucht einen Verstärker.

Ursprünglich wurde Optogenetik für die Grundlagenforschung entwickelt – etwa um Gehirnareale gezielt zu aktivieren, um ihre Funktion zu verstehen. "Dies ist ein wichtiger Fallbericht und zugleich die erste in einer Fachzeitschrift veröffentlichte Studie über eine optogenetische Therapie zur Wiederherstellung des Sehvermögens", sagt Prof. Dr. Zuho-Hua Pan, Wissenschaftlicher Direktor des Ligon Research Center of Vision an der Wayne State University School of Medicine, USA. "Obwohl die Ergebnisse lediglich von einem Patienten stammen, zeigt der Bericht überzeugend, dass die optogenetische Therapie bei einem blinden RP-Patienten ein brauchbares Sehvermögen wiederherstellen kann – ein Ergebnis, auf das ich als ein Pionier der Technologie seit Jahren gewartet habe."

Allerdings ist Optogenetik nicht der einzige Weg, mit dem Forschende Blinden ein Stück Sehvermögen zurückgeben möchten. "Die Implantation elektronischer Geräte ist ebenfalls ein Ansatz des Sehvermögens wiederherzustellen. Aufgrund technischer Probleme ist die räumliche Auflösung des wiederhergestellten Sehvermögens aber begrenzt", so Pan. "Ein weiterer Ansatz ist die Zelltransplantation, also regenerative Stammzelltherapien."

Dieser Ansatz habe ein großes Potenzial, aber auch viele Herausforderungen, wie zum Beispiel, dass die Zellen nach der Transplantation in der Netzhaut nicht nur überleben müssten, sondern auch wieder mit den nachgeschalteten Neuronen verbunden werden müssen. "An diesem Punkt scheint der optogenetische Ansatz praktikabler zu sein." (jsc)