Details und Nachbautipps zum MultiGeiger von Ecocurious

Mit den MultiGeiger-Stationen soll in Deutschland ein Netz aus stationären Geigerzählern entstehen. Wir haben eine Messstation zusammengebaut und aufgestellt.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Jens Hackel
Inhaltsverzeichnis

Der Multigeiger ist ein Citizen-Science-Projekt von Ecocurious, einer in Tübingen beheimateten Umwelt-, Natur- und Technik-Community. Ihr Ziel ist, ein Bürger-Messnetz für Radioaktivität aufzubauen – als offene und unabhängige Ergänzung zu den offiziellen Messgeräten, wie zum Beispiel denen des Deutschen Wetterdienstes. Dafür haben sie eine Anleitung für den Bau eines günstigen, ESP-basierten Zählrohrs samt passender Firmware sowie eine Online-Karte zur Auswertung entwickelt.

Das Konzept ist angelehnt an den Feinstaubsensor und die Karte des Stuttgarter Open Knowledge Labs. Die fest installierten Multigeiger schicken ihre Messdaten ebenfalls zum Server von sensor.community und wahlweise zu madavi.de. Einen Überblick über die Messwerte der letzten Stunden kann man sich über eine Online-Karte verschaffen. Eine Registrierung ist dafür nicht erforderlich. Praktischerweise lassen sich auf der Übersichtskarte auch die aktuellen Werte sowie die örtlich vorherrschende Windrichtung einblenden.

MultiGeiger von Ecocurious (3 Bilder)

Bauteile für den MultiGeiger
(Bild: Jens Hackel)

Wer selber einen Multigeiger bauen möchte, kann an einem Workshop von Ecocurious teilnehmen oder die Teile passend bestellen – bei Problemen und Fragen zum Bezug hilft die Gruppe weiter. Anfragen sind über mulitgeiger@ecocurious.de möglich. Der Zusammenbau ist unkompliziert und lässt sich auch alleine gut an einem Wochenende bewerkstelligen. Bisher gibt es die Anleitung nur für eine feste Messstation, an einer mobilen Variante wird derzeit gearbeitet.

Vor der Bestellung sollte man sich Gedanken über den Aufstellungsort und die Anbindung des Zählers an Internet machen. Aktuell gibt es eine Version mit WLAN und OLED-Display oder LoRaWAN / WLAN mit deutlich kleinerem Display. Die Kosten dafür belaufen sich auf jeweils 75 Euro. Sinnvoll ist noch ein USB-Netzteil mit einem langen Anschlusskabel zur Stromversorgung. Hierfür sollten 10 Euro eingeplant werden. Ich habe ich mich für die WLAN-Variante ohne Netzteil entschieden, da ich den Sensor autark, mittels Solarzellen und Akkus, versorgen möchte. Weil der MultiGeiger die Zerfallsprodukte radioaktiver Strahlung misst, nachdem sie vom Regen aus der Luft geholt wurden, sollte die Station später auf einem Stück Rasen aufgestellt werden – auf Beton oder Stein läuft der Regen zu schnell ab.

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Kernstück des MultiGeigers ist ein Geiger-Müller-Zählrohr für Gammastrahlung vom russischen Typ Si22G. Ich habe es über Ecocurious bezogen, da sie es vor dem Versenden auf einwandfreie Funktion überprüfen. Das Si22G ist sehr empfindlich, aber mit einer Länge von 22cm und einem Durchmesser von 1,9cm recht groß. Daher ist es vorzugsweise für den stationären Betrieb zu empfehlen. In der Software sind auch Konfigurationen für kleinere Zählrohre wie das SBM-20 oder SBM-19 vorhanden, die sich besser für einen portablen Betrieb eignen. Aktuell besser verfügbar ist zum Beispiel auch das Zählrohr Z1A.

Außerdem gibt es eine Platine, um den Aufbau der Elektronik rund um zu vereinfachen. Sie ist lang und schmal gestaltet, damit sie zusammen mit dem Geiger-Müller-Zählrohr in ein Stück Installationsrohr passt, was die vorgeschlagene Gehäuseform für den ortsfesten Einsatz darstellt. Das Platinenlayout, weitere Informationen und die Software findet sich bei Github, die aktuelle Bauanleitung ist online bereit gestellt.

Die Bauteilanzahl ist überschaubar und bis auf den Feldeffekttransistor (MOSFET) sind alle Teile in klassischer Durchsteck-Bauform ausgeführt. Die Lötarbeiten sollten also selbst für Anfänger gut machbar sein. Zum Verlöten des MOSFETs kann dieser mit einem Klebeband fixiert werden. Am ESP32-Modul befindet sich das Flachbandkabel sehr dicht an den Lötstellen für die Pfostenleisten. Um Beschädigungen beim Einlöten der Leiste zu vermeiden sollte es zum Beispiel mit etwas Aluminiumfolie geschützt werden.

Make 3/22

Mehr zum Thema gibt es in Ausgabe 3/22 der Make.

Das Zählrohr kam mit Halteklammern, ursprünglich Sicherungshaltern für 5×20mm Feinsicherungen. Da die Kontakte am Zählrohr jedoch etwas dicker sind, musste ich sie vor dem Einbau des Zählrohres etwas aufbiegen. Wer in seiner Restekiste noch Halter für Feinsicherungen amerikanischer Bauform hat, sollte diese nehmen. Sie sind etwas größer und passen besser. Schließlich habe ich mit aushärtender Knetmasse einen Berührungsschutz für den Anodenkontakt gebastelt, denn dort liegen im Betrieb 400 Volt Gleichspannung an. Der Anodendraht ist das Ende des Zählrohrs mit dem Plus-Zeichen, das mit der Platine in Kontakt kommt. Der andere Kontakt ist mit dem Metallgehäuse verbunden und wird auf Masse gelegt.

Make 3/22

Mehr zum Thema gibt es in Ausgabe 3/22 der Make.

Zur Spannungsversorgung kann ein handelsübliches USB-Netzteil verwendet werden. Die durchschnittliche Stromaufnahme der Schaltung beträgt ca. 0,1 Ampere, was einer Leistung von 0,5 Watt entspricht. Ein MOSFET-Boost-Converter erzeugt aus den 5-Volt-Betriebsspannung die erforderliche Anodenspannung von 400 Volt. Die verwendete Converter-Schaltung kommt dabei mit erstaunlich wenigen Bauteilen aus, da Regelung und Überwachung per Software durch den ESP32 erfolgen.

Bei Workshops gibt es den Mikrocontroller ESP32 von Ecocurious mit der aktuellen Firmware vorprogrammiert – das spart Zeit beim Zusammenbau. Ansonsten spielt man den Sketch mit der kostenlosen Programmierumgebung von Arduino oder Alternativen wie Visual Studio Code oder PlatformIO aufgespielt werden, wobei natürlich individuelle Anpassungen vorgenommen werden können. Hierzu ist neben der Bauanleitung ein Video mit einer Beschreibung der einzelnen Schritte verfügbar.

Wer möchte, kann noch einen zusätzlichen BME280 oder BME680-Sensor für die Erfassung von Temperatur, Luftdruck und -feuchtigkeit am I2C-Port anschließen. Dazu wird auf der Platine unter dem ESP32-Board entweder ein 4-poliger JST-Stecker mit 1,5mm Rastermaß oder direkt das Sensorkabel eingelötet. Anfänger haben beim Anschluss wegen des geringen Abstands und der Position der Verbindungsstelle vermutlich Probleme. Hier sollte jemand mit Löterfahrung helfen. Die Anschlussbelegung ist in der Bauanleitung nicht vermerkt, kann aber aus dem Schaltplan ersehen werden.

Ein extra Sensor für den MultiGeiger (3 Bilder)

Der zusätzliche BME680-Sensor
(Bild: Jens Hackel)

Die Platine und das Zählrohr werden nun auf einem Stück abgeschnittenen Kabelkanal befestigt. Ich habe aus Stabilitätsgründen ein 30×5mm PVC-Profil aus dem Baumarkt verwendet. Die hinteren Kanten habe ich mit einem Hand-Entgrater angefast, damit alles ins Gehäuse passt.

Nach dem Zusammenbau ist es Zeit für den ersten Test. Hat die Inbetriebnahme funktioniert, ertönt eine Begrüßungsmelodie. Die gezählten Vorgänge werden auf dem Display angezeigt sowie per LED und durch ein Klickgeräusch ausgegeben. Das Display und die Audiomeldungen sowie der Bluetooth-Betrieb lassen sich mit dem Durchtrennen von Leiterbahnen ausschalten. Optional kann dafür ein 4-fach DIL-Schalter eingebaut werden. Für den dauerhaften Einsatz im Außenbereich sollte die Platine mit Platinenschutzlack oder Plastikspray vor Korrosion geschützt werden.

Das Gehäuse stammt ebenfalls aus dem Baumarkt: ein 2m-Stück PG-Elektroinstallationsrohr mit 40mm Durchmesser, das ich nach Anleitung zugesägt und mit Bohrungen versehen habe. Um bei Gebrauch eine Ansammlung von Radongas im unteren Rohr zu vermeiden, habe ich zahlreiche Bohrungen zur Belüftung angebracht. Der Zwischenboden besteht aus einer Kruke, einem kleinen Vorratsgefäß, aus der Apotheke und wird mit Silikon eingeklebt. Zusätzlich benötigt man für das obere Ende des Rohres eine Abdeckkappe aus dem Baumarkt. Ich habe ich zur besseren Belüftung und als Insektenschutz eigene Abdeckungen konstruiert und mit einem 3D-Drucker ausgedruckt.

MultiGeiger im Garten (3 Bilder)

Versuchsbetrieb mit autarker Stromversorgung
(Bild: Jens Hackel)

Mit dem Solarpaneel habe ich lange experimentiert und verschiedene Dinge ausprobiert, von den Panelen über Laderegler bis hin zu Akkus. Inzwischen habe ich eine stabile Konfiguration gefunden, die zuverlässig läuft. Für den autarken Betrieb verwende ich ein 12V/10W Solarpaneel und einen Laderegler von Waveshare, der Laden und zugleich eine unterbrechungsfreie 5V/1A Stromversorgung ermöglicht.

Für Zeiten ohne ausreichend Sonnenschein liefern drei parallel geschalteten 16850-Akkus die notwendige Energie. Sowohl der Laderegler als auch die Akkus sind in einer spritzwassergeschützten Verteilerdose untergebracht, die ich auf der Rückseite des Solarpaneels mit Silikon aufgeklebt habe. Je nach Aufstellungsort des Multigeigers kann das Paneel entweder direkt am Rohr oder an einem sonnigen Ort in der Nähe montiert werden.

Läuft alles, wird der Zähler ins Rohrgehäuse geschoben und aufgestellt. Tipps zur Wahl des optimalen Aufstellungsortes finden sich in der Bauanleitung. Nun kann man die WLAN bzw. LoRaWAN-Konfiguration durchführen und seine Messwerte mit der Community teilen. Als zusätzliches Gadget lässt sich die Bluetooth-Verbindung nutzen, um die Zählgeräusche auf einem Smartphone mittles "zweckenfremdeter" Herzfrequenz-Messungs-App auszugeben. Künftig soll auch die Einbindung ins eigene Smart Home über das Protokoll MQTT möglich sein. Daher freut sich die Gruppe über neue Interessierte, die an Soft- und Hardware oder der Dokumentation mitarbeiten wollen. Rundherum ist der Multigeiger ein gelungenes und nachbausicheres Projekt mit empfindlichem Zählrohr und reichlich Potential für individuelle Anpassungen und Erweiterungen. (hch)